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.In jener Nacht hatte er in der Innenstadt einen schrecklichen Amoklauf veranstaltet.Er kam blutüberströmt nach Hause, und niemand von uns konnte zu ihm durchdringen.Er war zum Rogue mutiert, für ihn kam jede Rettung zu spät, und er wusste es.Sebastian war immer so scharfsichtig, so gescheit und sensibel.Er hat sich im Arbeitszimmer deines Vaters eingeschlossen.Und kurz darauf haben wir dann den Schuss gehört.«»Das tut mir so leid.« Corinne umarmte sie, spürte ihren Kummer, als ihre Mutter ein Schluchzen unterdrückte.»Das muss furchtbar gewesen sein.«»Das war es.« Ihre Mutter sah sie kummervoll an, als sie sich wieder aus der Umarmung löste.»Bevor man nicht selbst ein Kind verloren hat – und bis heute Nacht dachte ich, ich hätte sogar zwei verloren –, kann man sich nicht vorstellen, wie es ist, eine solche Leere in sich zu spüren.«Corinne sagte nichts, unsicher, wie sie antworten sollte.Sie spürte ihre eigene Leere in sich, trug an ihrem eigenen Verlust, selbst jetzt noch.Es war vor allem dieser Verlust, der sie nach Hause gebracht hatte, mehr noch als ihr eigenes selbstsüchtiges Bedürfnis nach Trost und der liebevollen Fürsorge ihrer Familie.»Du kennst doch dieses Zimmer noch, nicht?«, fragte ihre Mutter abrupt und wischte sich die Augen.108Halbherzig, aber dankbar für die vorübergehende Ablenkung, nahm Corinne ihre Umgebung genauer in Augenschein.Ihr Blick wanderte über das elegante dunkle Bett im Empirestil und den antiken Toilettentisch, die ihr nach all der langen Zeit immer noch so vertraut vor-kamen.Bettwäsche und Vorhänge waren anders, und die Wände waren nicht mehr mit schimmernder pfir-sichfarbener Seidentapete bespannt, sondern in einem angenehmen matten Taubengrau gestrichen.»Das war früher mein Schlafzimmer.«»Ist es immer noch«, antwortete Regina mit gezwungener Fröhlichkeit in der Stimme.»Wir werden wieder alles ganz genau so herrichten wie früher, wenn du möchtest.Wir können gleich morgen anfangen, mein Liebes.Gleich morgen früh gehen wir dir eine neue Garderobe einkaufen, und wir können einen Termin mit meinem Raumgestalter machen, damit er uns das ganze Zimmer von oben bis unten generalüberholt.Wir bringen hier alles wieder in Ordnung, und es wird sein, als wärst du keinen Tag weg gewesen.Es wird wieder alles wie früher, Corinne, du wirst sehen.«Corinne war sich kaum bewusst, dass sie den Kopf schüttelte, bis sie die niedergeschlagene Miene ihrer Mutter bemerkte.»Nichts kann jemals wieder so sein wie früher.Es hat sich alles verändert.«»Wir kriegen das wieder hin, Liebes.« Ihre Mutter nickte, als könne allein ihre Gewissheit es wahr machen.109»Du bist jetzt zu Hause, und das ist das Einzige, was jetzt zählt.«»Nein«, murmelte Corinne.»Es ist zu viel passiert.Man hat mir schreckliche Dinge angetan, von denen ich dir erzählen muss.Dir und Papa …«Sie hatte nicht so damit herausplatzen wollen.Sie hatte vorgehabt, sich mit ihren Eltern hinzusetzen und ihnen die Umstände ihrer Gefangenschaft so schonend wie möglich beizubringen.Als sie jetzt zusah, wie in Regina Bishops hübsches Gesicht das Grauen stieg, wusste sie, dass es keine schonende Möglichkeit geben würde, ihnen die Wahrheit zu sagen.Die beiden hätten in der Öffentlichkeit als Schwestern durchgehen können, beide wirkten jugendlich, ihr Alte-rungsprozess war bei etwa dreißig Jahren angehalten worden.So war es bei allen Stammesgefährtinnen aufgrund ihrer besonderen genetischen Eigenschaften und der lebensspendenden Kraft des Stammesblutes.Corinne war über siebzig, aber sie war kaum gealtert.Man hatte sie absichtlich jung erhalten, weil sie für ihren Entführer nur so von Wert war.Corinne sah, dass diese Erkenntnis nun auch Regina Bishop dämmerte, als hätte ihre Mutter sie bis zu diesem Augenblick noch gar nicht aus der Nähe angesehen.»Sag’s mir«, flüsterte sie.»Sag mir, was mit dir passiert ist, Corinne.Warum würde jemand dir nur so etwas antun wollen?«Corinne schüttelte langsam den Kopf.»Warum würde jemand all den jungen Stammesgefährtinnen so etwas 110antun, die zusammen mit mir entführt wurden? Aus Wahnsinn vielleicht.Definitiv aus Bösartigkeit.Nur so lassen sich die Dinge erklären, die er getan hat.Die Folter und Experimente …«»Oh Liebes«, rief Regina und keuchte auf.»Die ganze Zeit? All die Jahre hat man dir solche Dinge angetan?Aber wozu denn?«»Zu einem ganz spezifischen Zweck«, antwortete Corinne, und ihre Stimme klang ihr selbst hölzern in den Ohren.»Unser Entführer hat uns in finstere Verliese eingesperrt und uns nicht besser behandelt als Vieh.Er brauchte unsere Körper, um seine Privatarmee zu züchten.Aber wir Frauen waren nicht seine einzigen Gefangenen.Er hatte noch einen – eine Kreatur, von der ich nur in den Gruselgeschichten gehört hatte, die Sebastian Lottie und mir früher immer erzählt hat, um uns Angst zu machen.«Alle Farbe wich aus dem Gesicht ihrer Mutter.»Wovon redest du?«»In diesem Labor war auch ein Ältester eingesperrt«, sagte sie.Regina Bishop schnappte entsetzt nach Luft, aber sie redete einfach weiter.»Auch mit ihm hat unser Entführer Experimente angestellt.Er hat ihn als Zucht-bullen benutzt, um Gen-Eins-Vampire zu zeugen, die dann in seinem Dienst aufwuchsen – als Sklaven dieses Wahnsinnigen, der uns alle kontrollierte.«Einen langen Augenblick starrte ihre Mutter sie nur stumm an.Sie war blass geworden, und eine Träne rollte ihr die Wange hinunter, als ihr die ganze entsetzliche 111Wahrheit nun endlich aufging.»Oh mein liebes Kind…«Corinne räusperte sich.Sie war so weit mit ihrer Geschichte gekommen; jetzt musste sie auch den Rest aussprechen.»Ich habe mich gewehrt, solange ich konnte, aber letztendlich waren sie stärker.Es hat lange gedauert, aber dann – vor dreizehn Jahren, soweit ich das schätzen konnte – haben sie von mir bekommen, was sie wollten.« Jetzt musste sie tief einatmen, um weiterreden zu können.»Ich habe in dieser schrecklichen Laborzelle einen Sohn geboren, man hat ihn mir kurz nach seiner Geburt weggenommen.Irgendwo da draußen habe ich ein Kind, und jetzt, wo ich endlich frei bin, will ich es wiederhaben.«Irgendetwas stimmte nicht.Als Hunter den Wagen im privaten Hangar des Ordens am Flughafen parkte, musste er an Corinnes Wiedersehen mit ihrer Familie im Dunklen Hafen zurückdenken.Er fragte sich, warum seine Raubtierinstinkte ihn immer wieder vor Victor Bishop warnten, zu ihm zurückkehrten wie ein Jagdhund, der eine Fährte entdeckt hat, die schon fast kalt geworden ist.Fast, aber nicht ganz.Irgendetwas daran, wie Bishop auf Corinnes Rückkehr reagiert hatte, passte nicht ins Bild.Der Stammesvampir hatte erschüttert gewirkt, das schon, und es hatte ihn sichtlich bewegt, die junge Frau wiederzusehen, die er und die ganze Familie so lange für tot gehalten hatten.112Wie jeder Vorstand eines Dunklen Hafens war Bishop sichtlich besorgt über die Sicherheit seines Anwesens und seiner Bewohner gewesen, wachsam und wehrhaft, was alles zu erwarten war.Und doch hatte Hunter in Bishop noch etwas anderes gespürt – etwas, das seiner nach außen zur Schau getragenen Verblüffung und Erleichterung über Corinnes unerwartete Heimkehr zu widersprechen schien.Victor Bishops Blick war irgendwie distanziert gewesen, als er seine Tochter angesehen hatte
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